TLDR: Um das Verhalten der Websitebesucher auch künftig gut UND gesetzeskonform zu messen, sollten Unternehmen JETZT agieren und z. B. eine Matomo-Messumgebung aufbauen.
Irgendwie leben Unternehmen, Performance Measurer, Webanalysten, SEO-Leute auf der einen und ich auf der anderen Seite in zwei verschiedenen Universen: Spätestens seit Einführung der Cookie Consent Banner sollten viele Unternehmen einen deutlichen Rückgang ihrer Webbesucher verzeichnen. Doch Klagen oder Diskussionen dazu blieben bisher aus. Und nun das: es droht auch noch ein komplettes Verbot von Google Analytics in Europa. Mich beunruhigt dies seit Längerem, denn ich möchte Websitebesucher möglichst gut erfassen um in Folge Websites kundenfreundlich(er) zu gestalten. Ist meine Branche auch beunruhigt? Offenbar nicht und es herrscht "bau" (=business as usual).
Eine Diskussion über möglichst gute gesetzeskonforme Messmethoden findet schlicht nicht statt - lediglich eine Agentur in Passau scheint auch dieses Thema umzutreiben. Gesammelte Kommentare dort seit März letzten Jahres: 8 (Stand Januar 2022).
Das von mir sehr geschätzte Branchenmagazin Websiteboosting? Seit 2020 nischt und auch da nur eine sehr nerdige Anleitung, wie man u. U. das in die Jahre kommende Universal Analytics recht aufwändig cookiefrei macht. Ist ja alles schön und gut für den versierten Programmierer von heute – nur will Google weg von universal analytics und propagiert sehr offensiv Analytics 4. Wo die Cookie-„Befreiung“ aktuell so nicht klappt.
Und jetzt ein zweiter Paukenschlag: Völlig unabhängig von der Cookiediskussion droht Google Analytics ein Verbot, wenn nicht doch noch eine „Safe Harbor“-Lösung gefunden wird.
Dies ist nicht neu: Gemeckert hat der Hamburger Datenschutzbeauftragte meiner Erinnerung nach schon 2011: Daten von deutschen oder europäischen Nutzern in die USA übermitteln soll nicht sein, weil da z. B. auch das FBI Zugriff drauf hat. Zwar glaubte man zwischenzeitlich eine Lösung gefunden zu haben – aber seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Juli 2020 ist die personifizierbare Datenübermittlung in die USA ungesetzlich.
Und nun das: Aufgrund der großen Anzahl an signifikanten Merkmalen gilt wahrscheinlich auch Google Analytics als Tool, welche auf den Einzelnen rückführbare Daten in die USA übermittelt. In Gefahr ist jedoch nicht Google – in Gefahr ist jedes (europäische) Unternehmen, welches Google Analytics einsetzt.
Und – bereiten wir uns auf den Tag vor, an dem wir nicht mehr mit Google Analytics messen können? Haben wir überhaupt schon bemerkt, dass Google Analytics schon länger nicht mehr gut misst?
Wie machen das eigentlich die ganzen Performance Manager, die seit der Implementierung von Cookie Consent Bannern in Google Analytics einen Rückgang zwischen 30% und 70% ihres Websitetraffics verzeichnen – je nach Zielgruppe und Endgeräten?
Ich hatte ursprünglich die Hoffnung, daß es einen „Schlüssel“ geben könnte: Die Besucherzahl sinkt um 70%? Also multipliziere ich in Zukunft mit dem Faktor „3“ und bin wieder da!
Ich kann aber auch sagen: Klappt nicht. Zumindest meine Tests haben ergeben, daß zwei verschiedene Google Ads Kampagnen, welche aber auf dieselbe Zielgruppen targeten, ähnliche Budgets hatten und sogar ähnliche Clickraten verzeichneten, sich in der Akzeptanz von Cookies sehr deutlich unterscheiden können: Während bei Kampagne „A“ jeder zweite Visitor auch „Tracking-Cookies“ akzeptierte und somit von Google Analyitcs erfasst wurde, war es bei Kampagne „B“ nur jeder dritte. Wtf.
Woher ich das weiss? Seit zwei Jahren nutze ich Matomo, welches auch „cookiefrei“ betrieben werden kann und wo ich die Daten auf europäischen Servern ablegen kann. Und hier habe ich die Google Ads Daten inklusive der Sitzungszahlen in Analytics mit Matomo verglichen. Denn kurz gesagt: Aktuell kann Matomo datenschutzkonform betrieben werden und ist eine echte Alternative zu Google Analytics. Dies ist aber auch mit Arbeit und / oder Kosten verbunden.
Jetzt wäre natürlich eine Vermutung, daß alle Agenturen und Inhouse-Performance-Manager sich fleißig auf den Tag vorbereiten, an dem Google Analytics vielleicht wahlweise nicht mehr betrieben werden darf oder nur noch Schrottdaten liefert.
Nach meiner Beobachtung ist dies aber nicht der Fall: Zumindest in aktuellen Stellenanzeigen lese ich in Anforderungen immer nur „Google Analytics“. Gut, HR-Abteilungen arbeiten oft zeitverzögert – aber es wäre schon angemessen, baldmöglichst gute Datenanalysten zu rekrutieren. Die sollten dann nicht nur Google Analytics „können“.
Hinzu kommt: Eine Migration bspw. zu Matomo sollte über einige Monate hinweg geschehen, damit die Daten der Websitenutzer besser einzuschätzen sind: Einige kleinere Messunterschiede zu Google Analytics habe ich auch schon vor Integrationen von Cookie Consent Bannern beobachten können. Auch ist nicht jede Implementierung von Matomo unkritisch: Die Website eines Kunden war „down“, weil gleich nebenan auf demselben Server die Matomo Analyse implementiert wurde. Was dann für den Server leider zuviel Arbeit wurde (die Website hatte mehrer 10.000 Seiten…)
Gut, klar, man kann natürlich davon ausgehen, daß
Google „irgendwas“ unternimmt und die Daten der Internetnutzer in der EU nicht „kampflos“ aufgibt. Aktuell erreichen mich Google-Mails mit Titeln wie „Upgrade Ihrer Google Analytics 4-Properties
auf die channelübergreifende datengetriebene Attribution“, „Neues Tag, intelligentere Analytics-Oberfläche“ oder Verweise auf „Mit Machine Learning bessere datengetriebene Entscheidungen treffen“. Und in Folge
soll Google Analytics 4 datenschutzkonform betrieben werden können.
So wie ich es verstehe – und ich bin hier für erhellende Hinweise dankbar – versucht Google letztendlich „hochzurechnen“. Der Algorithmus „nimmt“ die Daten, die er von bekannten Accounts hat – also z. B. seiner „G-Mail“-„Kunden“ oder „Android-Smartphone“-Nutzer. So ist es auch durchaus möglich, Endgeräte-übergreifend Menschen zu tracken: Wer sich an seinem Smartphone UND an seinem PC mit einer G-mail-Adresse einloggt, hat auch ein sehr ausführliches Nutzerprofil auf Google-Servern.
Klappt aber nicht bei Apple-Usern. Klappt aber nicht bei Firefox-Nutzern, jedenfalls nicht immer.
Und zack: 50% der User scheinen Google unbekannt zu sein und dennoch soll auch dieses User-Verhalten vom Algorithmus dann errechnet werden.
Aber was soll ich sagen: Ausgerechnet I-Phone Nutzer zeigen ein ganz anderes Konsumverhalten als Android-User. So habe ich für einen Kunden NOCH NIE etwas an Android verkauft, aber über I-Phones kamen monatlich 5 Bestellungen. Gut, mittlerweile 10, weil ich Google Ads auf I-Phones ausgerichtet habe. Und Android komplett aus den Kampagnen entfernt wurde.
Aber ganz abgesehen vom unterschiedlichen Userverhalten nach Devices: Wie will Google Analytics 4 die tatsächlichen Besucherzahlen eigentlich wirklich errechnen?
Es kann ja sein, dass bei großen Websites mit Millionen Besuchern / Monat ein Algorithmus etwas lernen kann und Google Analytics „irgendwie“ auch künftig datenschutzkonform eingesetzt werden kann (über das „irgendwie“ gibt Ihnen der EuGH nach meiner Einschätzung nach 2030 rechtssichere Auskunft).
Aber ich kenne einige Unternehmen mit einigen 100 Millionen Umsatz, die nur 10.000 Besucher auf Ihrer Website haben – pro Jahr. Manche müssen natürlich auch nichts messen – aber auch für viele Unternehmen mit „nur“ 3.000 – 30.000 Besuchern im Monat ist es doch ganz relevant zu erfahren, welche Online-Marketing-Maßnahme funktioniert und welche nicht.
Und hier habe ich starke Zweifel an einem „machine learned google analytics model“: In meiner 20jährigen Google Ads Praxis waren Prognosen zu Clickraten und -preisen oft ungenau, waren „Benchmarking“-Berichte in Analytics wertlos (weil nicht zuzuordnen), waren „intelligente Zielvorhaben“ nun wirklich nur Zeugnis einer Programmierer-Hybris und ein Zeichen dafür, daß wir „Lernen“ zumindest nicht komplett Algorithmen überlassen sollten.
Und wie kann es eigentlich sein, daß Google Ads
automatisch auf Conversion ausgerichtet werden will, wenn auf der Landingpage (aus Gründen...) keine Conversion definiert ist?
Zudem habe ich es getestet: Stand Januar 2022 ist da nix mit datengetriebenen Zahlen, das neue Analytics 4 zeigt mir exakt dieselben Zahlen wie das alte Universal. Und die sind – Cookiebanner sei Dank – deutlich zu niedrig.
Mein Fazit zu Google Analytics daher: Auch künftig
gesetzlich riskant, die aktuellen Messergebnisse falsch bzw. eingeschränkt.
Und was kann Mensch tun, um „richtig“ zu messen?
Ich möchte beim Thema „exaktes Messen“ nicht zu sehr ins Detail gehen – aber ganz genaue Zahlen bekommen wir nur mit (zu) großem Aufwand. Dies liegt natürlich an Botprogrammen (vermutlich fast 50% des Internettraffics), Leuten, die Messungen aktiv unterdrücken und auch an der Dynamik im Netz (wer kann schon alle IP-Adressen jederzeit ganzganz genau dem physikalischen Standort eines Servers zuordnen etc.), TOR, VPN-Channels… - da bleibt immer eine Unschärfe.
Vergleichsweise „scharf“ ist da Matomo und eine Migration oder eine zusätzliche Nutzung sollte „in Ruhe“ erfolgen:
Aber:
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